Ein Satz aus der Bibel. Von wem genau er stammt, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Möglicherweise war es ein Schüler des Apostels Paulus, auf den er zurückgeht. Adressat ist Timotheus, der erste Bischof der zu dieser Zeit bedeutenden Großstadt Ephesus in Kleinasien auf dem Gebiet der heutigen Türkei.
„Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2 Tim. 1, 7)
Wer im schulischen Kontext unterwegs ist, weiß von den Stunden, die Freude bringen. Wenn Schülerinnen und Schüler sich begeistern lassen von dem, was zu lernen ist. Wenn sie sich bemühen, ihr Wissen zu erweitern und Lust haben, Neues zu lernen. Wenn miteinander eine gemeinsame Lösung gefunden werden konnte für das, was ein Problem war. Dieses und noch so viel mehr macht Freude in und an Schule. Lernenden und Lehrenden.
„Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2 Tim. 1, 7)
Zweifellos kenne ich sie auch: Tage, an denen ich „mit dem falschen Fuß aufgestanden“ bin. Momente, in denen Dinge schiefgehen, obwohl ich sie meiner Ansicht nach gut vorbereitet habe. Zeitpunkte, in denen ein Wort das andere gibt. Wenn aus einem guten Miteinander ein Gegeneinander mit Gewinnern und Verlieren wird. Mit durchsetzungsfähigen Wortführern und mit denen, die eingeschüchtert den Mut verloren haben, das ihnen Wichtige zum Ausdruck zu bringen. Und jetzt?
„Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2 Tim. 1, 7)
Seit Jahrzehnten schon hängt dieser eine Satz über meinem Spiegel im Bad. Jeden Morgen lese ich ihn. Wenn ich mich fertigmache für den Tag. Ich mir meine Hände wasche oder mir die Zähne putze. Auch abends vor dem Schlafengehen, ehe ich das Licht ausmache, sehe ich ihn nochmal. Damit lässt sich besser schlafen als ohne ihn.
„Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2 Tim. 1, 7)
Entdeckt habe ich in der St. Franziskus Grundschule diesen Würfel. Seinen Platz hat er in dem Raum, in dem Lehrende sich begegnen. Zwischendurch oder in der Pause. Mitten im Schulalltag nach Erfolgserlebnissen, die mein Leben bereichern. Die mir die Freude geben, die ich für meinen Dienst brauche. Ebenfalls nach Minuten in meiner Klasse, die ich gern aus meinem Kalender gestrichen hätte. Weil ich meine Grenzen erreicht oder die der mir Anvertrauten in der Klasse gespürt habe. Motivation hat einen Namen. Diesen?
„Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2 Tim. 1, 7)
Dass auch Erwachsene aus Fehlern lernen, ist eine Binsenweisheit. In einer Schule ist es unabdingbar, dass ein lebenswertes Miteinander zwischen Unterrichtenden und Schülern den Alltag bestimmt. Wenn ich etwas nicht geschafft und etwas im übertragenen Sinn in den Sand gesetzt habe: Ich darf lernen, dass nicht aller Tage Abend und nicht alles aus und vorbei ist. Menschen machen Fehler. Ich auch. Nicht aufzugeben. Es noch einmal oder sogar mehrfach zu versuchen. Bis ich doch dahin komme, wo ich hinmöchte. Das versuchen wir, den Schülerinnen und Schülern mit auf ihren Weg zu geben. Jede und jeder hat einmal angefangen. Bekanntlich ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Auch nicht in der St. Franziskus Grundschule.
„Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2 Tim. 1, 7)
Ich kann manchmal mehr als ich meine, wenn ich die Kraft dazu bekomme. Aus ganzem Herzen „Ja!“ sagen darf ich immer wieder zu denen, denen ich Tag für Tag begegne. Auch, wenn und weil sie manchmal so anders sind als ich. Vollkommen bejahen darf ich auch mich selbst. Weil ich trotz meiner Fehler liebenswert und Geschöpf Gottes bin. Nach seinem Abbild gestaltete er mich. Einzig und allein aus Liebe. Nicht als preisreduziertes Mängelexemplar. Diese Liebe darf ich auch andere spüren und erfahren lassen. Tag für Tag. Sogar noch in den Ferien. Nicht nur in der Schule.
„Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2 Tim. 1, 7)
Bemerkenswert finde ich das, was in diesem Satz ganz am Ende steht: Besonnenheit. Denn blinder Aktionismus hilft in der Schule ebenso wenig weiter wie übertriebene Impulsivität. Manchmal steht tatsächlich das Denken – das Nachdenken und das Bedenken – vor dem Tun und meinem Handeln. Um vorschnelle oder unüberlegte Entscheidungen zu vermeiden, kann es hilfreich sein, erst einmal durchzuatmen. Oder sogar eine Nacht darüber zu schlafen. Zwar bin ich nicht immer Herr meiner Gefühle – der positiven und der negativen. Aber Besonnenheit, Gelassenheit und die innere Ruhe sind erreichbar. Für mich und für andere.
Br. Clemens Wagner ofm, Schulseelsorger