Nicht immer sehe ich alles sofort. Obwohl ich hinschaue. Die Sätze der Überschrift finden sich im ersten Johannesbrief in der Bibel. Im 3. Kapitel, im zweiten Vers. Kürzlich sprachen wir bei der Schülervollversammlung in der St. Franziskus-Grundschule über Kinderrechte. Diese zogen sich in jeder Klasse wie ein roter Faden durch den Schultag. Eine interessante Sache. Nicht nur für Schülerinnen und Schüler.
Jetzt sind wir Kinder Gottes. Doch ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden.
Dass Kinder sich nach und nach entwickeln und nicht nur körperlich größer werden, ist hinreichend bekannt. Mütter und Väter erleben das im wahrsten Sinn des Wortes von Anfang an. Auch in Schule und Hort merken wir im Lauf der Zeit, was aus jenen wird, die dereinst in der ersten Klasse begonnen haben: Persönlichkeiten. Die haben es in sich. Schon als Kinder.
Jetzt sind wir Kinder Gottes. Doch ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden.
„Kinder sind laut, kosten Geld und machen Dreck.“ Markige Worte, die mir ein Vater mal sagte – glücklicherweise mit einem Lächeln. „Obwohl sie so sind, wie sie sind, liebe ich meine Tochter und meinen Sohn!“, ergänzte er noch. Kinder bleiben ein Erlebnis. Auch, wenn sie größer werden.
Vom 20. November 1998 stammt der Text der UN-Kinderrechtskonvention. Am 05. April 1992 trat das „Übereinkommen über die Rechte eines Kindes“ in Deutschland in Kraft. 54 Artikel legen ausführlich dar, was eigentlich selbstverständlich sein sollte. Denn Kinder sind keine „kleinen Erwachsenen“. Sondern eigenständige Wesen, die im besten Sinn des Wortes größer werden und wachsen. In vielfacher Hinsicht und auf unterschiedliche Weise entfalten und entwickeln sie sich. Das Wohl jedes Kindes steht im Vordergrund. So haben Mädchen und Jungen beispielsweise das Recht auf freie Meinungsäußerung (vgl. Art. 13), das Recht auf Bildung (vgl. Art. 28), das Recht auf Ruhe und Freizeit und auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung (vgl. Art. 31) und vieles andere mehr.
Jetzt sind wir Kinder Gottes. Doch ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden.
Das Recht auf Kindsein geht mit Pflichten einher: Sich auf all das einzulassen, was sich nach und nach ändert. Nicht nur vom körperlichen Aspekt her. Manches kann ich zwar beeinflussen und steuern. Anderes nicht. Neue Erfahrungen, das Erweitern meiner Fähigkeiten und Möglichkeiten, stetiges Dazulernen, die Bereitschaft, Neues zu wagen – dies und noch viel mehr sorgt für Spannung und für Spannungen. Nicht alles und jedes gefällt mir. Bei mir und bei anderen. Kindern und Erwachsenen geht es gleichermaßen so.
Jetzt sind wir Kinder Gottes. Doch ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden.
Kinder brauchen für Vieles noch keine Verantwortung zu tragen. Zwar genießen sie auch in der St. Franziskus-Grundschule und im Hort eine gewisse „Narrenfreiheit“. Sie dürfen Kind in der Hinsicht sein, dass sie nicht von Anfang an alles können und wissen müssen. Auch, wenn sie nicht immer Recht haben, haben sie ihre Rechte. Weil bekanntlich meine Freiheit dort aufhört, wo die meines Gegenübers beginnt, sind Regelungen, Einschränkungen und Klarstellungen für den Schul- und Hortalltag unverzichtbar. Wenn und weil nicht das Recht des Stärkeren gelten soll und darf. Denn auch Kleinere und Schwächere haben das Recht auf einen für sie passenden Platz. Kindsein im besten Sinn des Wortes ist für alle möglich.
Jetzt sind wir Kinder Gottes. Doch ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden.
Kind Gottes zu sein bedeutet, dass ich aus mir heraus eine Würde habe, die mir niemand nehmen kann. Dass ich vorbehaltlos akzeptiert, angenommen und mich geliebt wissen darf. Dafür muss ich noch nicht einmal etwas geleistet oder geschafft haben. Mein Schöpfer steht zu mir bei allem, was so ist, wie es ist. Gute Perspektiven habe ich ebenfalls: Was ich einmal sein werde, wenn ich nicht mehr bin, wird es in sich haben. Lassen wir uns überraschen!
Br. Clemens Wagner ofm, Schulseelsorger