23. April 2025

Mit mir muss man rechnen

Heute war es wieder so weit: Ein Foto. Eines T-Shirts mit Aufschrift. Na toll.

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Zugegeben: Rechnen war nie meine Stärke. Ich beherrsche zwar die vier Grundrechenarten und kann einen fünf Euro Schein von seinem zehn Euro Pendant nicht nur der Farbe nach unterscheiden. Doch der Sinn einer Exponentialfunktion hat sich mir bislang nicht erschlossen. Offen gestanden, liegen meine Interessen anderswo. Und jetzt?

Mit mir muss man rechnen

Wie es aussieht, ist es eine Lehrerin, die Mathematik unterrichtet, die mir heute mit ihrem T-Shirt mit dieser Aufschrift begegnet ist. Mir gefiel die Mehrdeutigkeit des Geschriebenen. Als Unterrichtende gehört es zu ihren Aufgaben, ihren Schülerinnen und Schülern die Geheimnisse der Mathematik zu erschließen. Andererseits ist sie nicht nur kompetente Ansprechpartnerin, sondern mehr: Motivierende, Aufmunternde ebenso wie Korrigierende und Verbessernde. Man muss eben mit ihr rechnen. So oder so.

Mit mir muss man rechnen

Wenn ich mit meinem Gegenüber im übertragenen Sinn rechne, ist sie oder er für mich greifbar. In meiner Nähe und nicht irgendwo anders. Ansprechbar. Sichtbar. Vor mir. Bei mir. Mit mir. Nicht in anonymer Distanz wie in einem Online-Chatverlauf. Sondern so, dass ich sie oder ihn direkt vor mir sehen und erkennen kann. Nicht nur im alltäglichen Unterrichtsgeschehen ist es wesentlich, Schülerinnen und Schüler ebenso vor Augen zu haben wie jene, die sie unterrichten. Kann ich doch live, in Farbe und hautnah sehen und erleben, dass und wie andere auf meine Worte und mein Handeln reagieren. Positiv wie negativ. An ihrer oder seiner Mimik oder Gestik kann ich erkennen, ob ich mit meinem Bemühen „angekommen“ bin; die Lernenden verstanden haben, was ich ihnen beizubringen versuchte und die Lehrenden die Antworten der ihnen Anvertrauten einordnen können.

Mit mir muss man rechnen

Im Zeitalter permanenter Erreichbar- und Verfügbarkeit bin ich entweder online oder offline. Sicherlich kann ich manches stummschalten oder blockieren, wenn ich keinen weiteren Kontakt mehr wünsche. Mein „mobiles Endgerät“ kann ich sogar komplett ausschalten. Ob ich, wenn ich das mache, wirklich so viel verpasse, wie ich manchmal vermute oder fürchte?

Mit mir muss man rechnen

So negativ, wie das in den Ohren mancher klingt, ist es nicht immer. Ich kann es nicht immer allen recht machen. Brauche niemanden nach dem Mund zu reden. Oder „funktionieren“, dass andere mit mir zufrieden sind. Ich bin ich. Lern- und entwicklungsfähig. Niemals „fertig“ oder gar „vollendet“. Wer mit mir rechnet, muss respektieren und akzeptieren, dass ich ich bin. Niemand anders. Ist das schlimm?

Mit mir muss man rechnen

Auch Jesus rechnet. Nicht ab. Sondern mit jeder und jedem von uns. Unabhängig vom Alter. Weil er Menschen zutraut, dass sie nicht alles falsch machen. Auch, wenn wir uns nicht nur im wahrsten Sinn des Wortes verrechnet haben. Zu einem anderen Ergebnis kommen als wir es eigentlich wollten. Aus Fehlern kann ich lernen. Nicht nur in der Schule. Wenn ich einmal etwas „versiebt“ oder „versemmelt“ habe, bedeutet das nicht, dass es stets so bleibt. Das ist es, was Christus jedem Menschen zutraut – egal ob glaubend, suchend, zweifelnd oder ablehnend: Dass andere mit mir rechnen können. Dass auf mich Verlass ist. Dass ich zu meinem Wort stehe. Nicht nur rede, sondern handle. Dort, wo es dazu beiträgt, dass Menschen aneinander Freude haben. Trotz aller Unterschiede. Nicht nur in der St. Franziskus-Grundschule hier in Halle. Damit muss man rechnen. Immer noch und immer wieder.

Br. Clemens Wagner ofm, Schulseelsorger